Hearing Schools in Pakistan for the deaf
   
Hoerakustik

Ein vierwöchiger Einsatz als Senior-Experte im Norden Pakistan. Bei hörgeschädigte Kindern am Fusse des Himalaya
Als ich Dezember 1998 von meinem damals neunten Einsatz in Pakistan, anfangs also Referent der Goethe Institute in Karachi und in Lahore und später als Senior Experte im Dienste pakistanischer Gehörlosenschulen bzw. Eines pakistanischen Forschungsinstituts, nach Heidelberg zurückkehrte, war ich fest davon überzeugt, dass ich nunmehr nach fast zwanzig Jahren meinen letzten beruflichen Einsatz in einem asiatischen Land (Bangladesch, Indien, Japan, Libanon, Pakistan, die Philippinen, Taiwan) glücklich zu Ende geführt hatte. Doch dann erreichte mich im Sommer 1999 auf Veranlassung von Miss Morag Clark, Grossbritannien die dringende Bitte, gleich nach der Schneeschmelze in März /April 2000 in den Norden Pakistans zu kommen und dort beim Aufbau einer neuen Schule für hörgeschädigte Kinder mitzuhelfen. Bittsteller waren der Schweiz lebende, aber in Pakistan geborene Eltern eines hochgradig hörgeschädigten Sohnes, der dank der ihm zuteil gewordenen Cochlea-Implantat Versorgung in einer teilintegriert beschulten Klasse hörgeschädigter Kinder um Kanton Zürich sprachlich und schulisch gute Fortschritte macht. Aus Dankbarkeit hierfür haben seine Eltern eine Stiftung ins Leben gerufen, in die sie Monat für Monat mehr als ein Viertel ihres Einkommens einzahlen. Mit dieser Stiftung finanzieren sie nicht nur den Aufbau einer Schule für hörgeschädigte Kinder in Abbottabad in der North West Frontier Province (NWFP) von Pakistan und einer Schule für hörende Kinder in ihrem pakistanischem Geburtsort, sondern legen auch bei häufigen Aufenthalten in ihrer pakistanischen Heimat gemeinsam mit dort lebenden Familienangehörigen beim weiteren Ausbau dieser Schulen Hand an. Kenntnis dieses Sachverhaltes konnte ich mich der Bitte um Mithilfe bei diesem Projekt nicht verschliessen und habe im Frühjahr 2000 trotz meines Alters noch einmal die Strapazen eines vier Wochen lang währenden acht- bis neunstündigen Arbeitstages in ungewohnter Umgebung auf mich genommen. Über einige der hierbei gewonnen Erfahrungen soll nachstehend kurz berichtet werden.
Pakistan
Schon 2500 Jahren vor Christi Geburt gab es am Indus, dem Hauptfluß Pakistans, eine blühende Kultur. Etwa 1000 Jahre später drangen „Indo" Germanen bis an den Indus vor und beeinflußten die dort vorherrschende Hindu- Zivilisation. Später besetzten Perser den Norden des heutigen Pakistans. Ihnen folgten unter Alexander dem Grossen (356-323) im Jahren 327 für ganz kurze Zeit die Griechen. Im Jahre 712 nach Christi Geburt begann dann mit dem Einfall der Araber deren etwa 200 Jahren andauernde Herrschaft über den Süden des Landes. Mir ihnen nahm aber auch die systematische Eroberung und Islamisierung Südasien durch die Moslems ihren Anfang. Ihnen folgten schliesslich im Laufe des 18. Jahrhunderts britische Kolonialtruppen, die den indischen Subkontinent bis 1947 beherrschten. Heute ist Pakistan eine islamische Republik. Dieser Status wird auch den Namen der Hauptstadt des Landes dokumentiert, die - ähnlich wie in unserem Jahrhundert u.a. auch Canberra und Brasilia - künstlich angelegt worden ist und Islamabad heisst.
Das heutige Pakistan, das etwa 800.000 qkm groß ist und mit weit über 130 Millionen Einwohnern zu den zehn bevölkerungsreichsten Ländern der Erde zählt, gliedert sich in folgende vier Provinzen:
NWFP etwa 18 Millionen Einwohner
Punjab etwa 73 Millionen Einwohner
Sindh etwa 30 Millionen Einwohner
Balochistan etwa 7 Millionen Einwohner
Hinzu kommen noch zwei nördliche Grenzregionen mit zusammen etwa 4 Millionen Einwohnern.
Erstes Ziel meiner Reise war Islamabad. Der Eindruck, den Pakistan mit seinem internationalen Flughafen Islamabad auf den ankommenden (und dann noch einmal auf den abreisenden) Fluggast macht, ist allerdings frustrierend und deprimierend. Der einreisende Gast wird durch die Trägheit der verantwortlichen Bediensteten schockiert und der Ausreisende durch eine kaum noch zu überbietende Bürokratie sich gegenseitig im Wege stehender Beamter noch einmal gedemütigt.
Sehenswürdigkeiten des Landes sind im hohen Norden das Karakorum Gebirge mit dem Nanga Parbat (8126 m) und dem K2-Gipfel (8611 m) sowie der 805 km langen Karakorum-Hochstraße, die über den 4733 m hohen Khunjerab-Pass Pakistan mit der Volksrepublik China verbindet, und die innerhalb Pakistans an der alten Seidenstraße gelegenen antiken Ausgrabungsstätten. Hier ist vor allem Taxila, unweit von Islamabad gelegen, zu nennen, das etwa zur Zeit des klassischen Altertums in Europa das führende Zentrum des Buddhismus in Asien gewesen ist. Wer das noch von den Briten errichtete archäologische Museum in Taxila besucht, wird schnell erkennen, dass die buddhistische Kultur der vorchristlichen Zeit durchaus mit der Griechen und Römer jener Zeit gleichgesetzt werden kann. Zu den Sehenswürdigkeiten zählt aber auch Lahore, die Hauptstadt des Punjab mit ihren aus der Mogulzeit stammenden grossartigen Moscheen und Palästen sowie den prächtigen Schalimargärten.
Abbottabad...
Von Islamabad ging meine Weiterfahrt mit einem Jeep auf Landstrassen nach Abbottabad. Diese Stadt mit fast 200.000 Einwohnern ist Hauptstadt eines Distriktes und liegt - etwa 120 km nördlich von Islamabad gelegen - auf einer Hochebene, eingebettet zwischen Bergen, die bis zu 2500 m aufsteigen und im Winter für nahezu fünf Monate schneebedeckt sind. Wegen seines günstigen Klimas war Abbottabad es - ähnlich wie Bangalore in Südindien - bis 1947 eine bevorzugte Sommerfrische der militärischen und zivilen An- gehöriger der britischen Kolonialmacht. Als ich Mitte März in Abbottabad ankam, lag auf den Bergen rings um die Stadt noch hoher Schnee. Es nimmt darum nicht weiter wunder, dass die in der Regel nur mit einfachen Gasradiatoren dürftig beheizbaren Schulen im Norden von Pakistan - anders als die im Süden des Landes - zwei Monate Winter-, aber nur einen Monat Sommerferien haben. Endstation meiner Reise war die "Al-Hoda School for Hearing Impaired Children" in Abbottabad.
...ein bedeutendes Zentrum im Norden Pakistans
Obwohl Abbottabad ein bedeutendes Zentrum im Norden von Pakistan ist, ist die Stadt ausserhalb von Pakistan nur wenig bekannt. So ist Abbottabad nicht nur eine seit britischen Zeiten wichtige Militärstadt mit großzügig und - verglichen mit dem sonst üblichen Schmutz auf nahezu allen Straßen und Wegen des Landes - sehr gepflegt und gartenarchitektonisch gekonnt an- gelegten Militäranlagen, sondern auch ein bedeutendes Schul- und Klinikzentrum. Der auf einem riesigen Gelände - seine Fläche ist größer als die eines bedeutenden Flughafens - in ruhiger Umgebung errichtete "Ayub Khan Hospital Complex" mit seinen zahlreichen Abteilungen und mehr als 1000 Betten sowie mit seiner"Medical School" zur Ausbildungen von Ärzten und von ärztlichen Hilfskräften gilt als das bedeutendste Krankenhaus im Norden Pakistans. Eindrucksvoll ist auch die große Zahl von Schulen aller Art. Viele von ihnen sind mit einem Schülerheim verbunden und haben - Unterrichtsprache ist Englisch - nicht nur zahlende Schüler wohlhabender Familien aus allen Teilen Pakistans, sondern zum Teil auch aus europäischen Ländern. Letzteres gilt natürlich nicht für die beiden Sonderschulen für hochgradig hörgeschädigte Kinder in Abbottabad. So gibt es sowohl eine von der Regierung eingerichtete als auch die erst seit einigen Monaten bestehende private "Al- Hoda School" für hörgeschädigte Kinder.
Ein dichtes Netz von Gehörlosenschulen
Diese Zweiteilung in private und in staatliche Schulen für hörgeschädigte Kinder ist für die NWFP Pakistans typisch, wie die folgende - möglicherweise nicht ganz vollständige - Auflistung zeigt. So gibt es nach den mir zugänglich gewesenen Informationen staatliche Schulen für hörgeschädigte Kinder in folgenden Städten der Provinz: In Abbottabad, Haripur, Peshawar (5 Schulen) Swat und Timargarha,
Private Schulen bestehen dagegen in folgenden Städten der Provinz:
In Abbottabad, Charsadda, Haripur, Mardan, Mingora,
Peshawar (5 Schulen) und Timargarha.
In den staatlichen Schulen besitzen die Schüler in der Regel keine Hörgeräte und werden vornehmlich mit Hilfe von Gebärden unterrichtet. Dagegen bemüht man sich in einigen der privaten Schulen um eine - wenn auch bescheidene - Hörgeräteversorgung und um einen Lautsprachunterricht.
Die >>AI-Hoda School<< in Abbottabad
Die >>Al-Hoda School<< wurde erst vor einigen Monaten gegründet und hat darum verständlicherweise noch mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen. So glaubten ihre Lehrer, sie könnten in den kaum mehr als achtzehn wöchentlichen Unterrichtsstunden ihren noch völlig sprachlosen hörgeschädigten Schülern Laut- und Schriftsprachunterricht sowohl auf Englisch als auch auf Urdu erteilen zu können, wobei erschwerend hinzukommt, dass in nicht wenigen Elternhäusern weder Englisch noch Urdu, sondern eine andere Sprache gesprochen wird. So bestand meine erste >>Amtshandlung<< in der Abschaffung des Unterrichts in englischer Sprache. Ferner wurde der Schule von mir dringend empfohlen, hinfort nur noch hörgeschädigte Kinder aufzunehmen, deren Eltern auch wirklich bereit sind, daheim Urdu und somit die in der Schule erlernte Sprache zu sprechen.
Eine Bitte an Schweizer Hörgeräte-Akustiker
Im Gegensatz zur staatlichen Gehörlosenschule in Abbottabad - dort werden etwa 60 Kinder von zwei Lehrern nur mit Gebärden unterrichtet und lernen weder sprechen noch absehen bzw. hören - ist die "Al-Hoda School" bemüht, ihren Schülern Laut- und Schriftsprachunterricht zu erteilen. Da die Schule jedoch über keinerlei Höranlagen verfügt und solche in den hierfür viel zu kleinen Schulräumen auch überhaupt nicht eingesetzt werden könnten, ist es unerlässlich, dass jedes Kind so bald wie möglich mit zwei individuellen Hörgeräten ausgestattet wird. Gegenwärtig hat nur etwa jedes zweite Kind ein -seinem individuellen Hörverlust allerdings sehr oft nicht einmal entsprechendes -Taschenhörgerät. Da die Finanzierung der Hörgeräte allein den Eltern obliegt und ein Taschenhörgerät etwa zwei bis drei Monats- gehälter eines Lehrers kostet, ist die Anschaffung eines Hörgerätes, geschweige denn zweier Hörgeräte, für viele Eltern einfach unerschwinglich. Hier Abhilfe zu schaffen, ist dringend notwendig. So richte ich z.B. an alle Hörgeräte-Akustiker in der Schweiz die Bitte, von ihren Kunden nicht mehr benötigte ältere, aber noch voll funktionstüchtige Hörgeräte für die Schule in Abbottabad zur Verfügung zu stellen und an folgende Anschrift zu senden: Familie Manzoor Ahmed, Neue Meilener Strasse 2, CH-8132 Egg. Familie Ahmed fährt in regelmäßigen Abständen nach Abbottabad und ist bemüht, alle ihr zugänglich gemachten Hörgeräte so rasch wie möglich nach Pakistan mitzunehmen und damit Schüler der >>Al-Hoda School<< zu versorgen.
Seine Muttersprache erlernt ein Kind nur über das Gespräch
Ein weiteres wichtiges Anliegen während meines mehrwöchigen Einsatzes an der >>Al-Hoda School<< war für mich, den Lehrkräften beizubringen, dass auch ein hörgeschädigtes Kind die Lautsprache nur über das Gespräch zu lernen vermag. Ihr Unterricht bestand anfangs aus einer bloßen Imitation des ausschließlich lehrerzentrierten Unterrichts, den sie selbst noch vor wenigen Jahren als Schüler erlebt hatten. So sprachen die Lehrer wohl zu ihren Kindern, nicht aber mit ihren Kindern. Dass dies auch anders gehen kann und man dann sogar, wie es Dr. Antonius van Uden einmal formuliert hat, hörgeschädigten Kindern „a world of language" vermitteln kann, war für viele Lehrer ebenso Neuland wie die Tatsache, dass vor allem Vorschulkinder dann am leichtesten und am schnellsten lernen, wenn man mit ihnen spielt. Auch dies war und ist nicht nur im islamischen, sondern weitgehend im gesamten südostasiatischen Kulturkreis trotz des Vorhandenseins einzelner Montessori-Schulen völlig unbekannt. Lehrer und Erzieher können selbst nicht spielen, da in ihrer Kindheit niemand mit ihnen gespielt hat. Gleiches gilt auch für die für eine gute Hörspracherziehung und für die Erlangung eines rhythmisch gut gegliederten Sprechens unerlässliche rhythmisch-musikalische Erziehung. So kann nicht ein einziger der zur Zeit an der "Al-Hoda School" tätigen Lehrer auch nur ein Musikinstrument spielen.
Hauptursache der Hörschäden der Kind: Blutsverwandtschaft

An fast jedem Vormittag wurden in der "Al-Hoda School" ein oder mehrere hörgeschädigte Kinder von ihren Eltern mit der Bitte um Aufnahme vorgestellt. Fast alle diese Kinder waren schon vier, sechs, acht oder noch mehr Jahre alt. Die Wichtigkeit der Früherfassung, der Früherkennung und der Früherziehung ist in Pakistan selbst bei Ärzten noch weitgehend unbekannt. Bei fast allen neu vorgestellten Kindern war die Ursache ihrer zumeist hoch- gradigen Hörschädigung schnell identifiziert. Ihre Eltern waren in der Regel Vettern und Basen. Aufgrund der geringen Mobilität und der eingeschränkten Möglichkeit, mit einem möglichen späteren Ehepartner schon vor der Ehe Kontakt aufnehmen zu können, heiraten noch immer viele Pakistani innerhalb der Grossfamilie. Sehr wahrscheinlich wissen weder sie noch ihre Eltern, die solche Verwandten-Ehen arrangieren, zu diesem Zeitpunkt über die Risiken, die für die aus einer solchen Ehe hervorgehenden Kinder bestehen, Bescheid.

 

Grosses Interesse junger HNO-Ärzte am Aufbau einer kinderaudiologischen Klinik
Während meines Aufenthaltes in Abbottabad habe ich in einem öffentlichen Vortrag, zu dessen Hörern auch mehrere Ärzte gehörten, die von mir erkannten Schwachstellen in der Hörgeschädigtenbildung des Landes analysiert und vor allem die Wichtigkeit der frühen medizinischen, chirurgischen, prophetischen und pädagogischen Intervention betont.

Nach diesem Vortrag folgte spontan eine Einladung, eine Vorlesung für die jungen HNO-Ärzte am "Ayub Khan Hospital Complex" zu halten.
Da mir das Thema frei gestellt war, sprach ich dort über die Bedeutung, die ein Personal und sachlich gut aus- gestattetes kinderaudiologisches Zentrum für die Zukunft ganzer Generationen hörgeschädigter Kinder haben kann. Dieses Thema fand eine so positive Aufnahme, dass ich eine Woche später noch einmal zu einer mehrstündigen Vorlesung eingeladen wurde. Diesmal hatte ich nicht nur Dias und Folien, sondern auch mehrere einschlägige Videobänder mitgebracht. Auf ihnen war unmissverständlich zu sehen und zu hören, welche großartigen Erfolge heute selbst bei gehörlos geborenen Kindern dank Cochlea- Implantat Versorgung und dank einer früh einsetzenden auditiv-verbalen Erziehung erzielt werden können.
In der Diskussion, die beiden Veranstaltungen jeweils folgte, stellte sich heraus, dass die jungen HNO-Ärzte ein großes Interesse an der baldigen Errichtung einer kinderaudiologischen Klinik auf dem Krankenhausgelände in Abbottabad haben. Ihre Bitte, im kommenden Jahr noch einmal nach Abbottabad zu kommen und sie dann in die Praxis der Verhaltens-Beobachtungs- und der Spielaudiometrie einzuführen, habe ich allerdings abgelehnt. Hierfür bin ich inzwischen vielleicht doch schon zu alt. Übrigens: Das noch nicht bebaute Gelände des Krankenhaus-Komplexes ist so groß, dass darauf nicht nur eine, sondern möglicherweise sogar einhundert kinder- audiologische Zentren errichtet werden könnten.
Auch das sei dankbar vermerkt: Nach meinen Vorträgen in der HNO-Klinik wurden von dieser der "Al-Hoda School" innerhalb nur einer Woche drei hörgeschädigte Kinder für das dort auf meine Veranlassung ins Leben gerufene Programm der frühen Hausspracherziehung überwiesen, die das zweite Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Einer der an der Schule arbeitenden Lehrer, einer von ihnen ist selbst Vater eines inzwischen neun Jahre alten hörgeschädigten Sohnes, hatte es bisher mit so jungen hörgeschädigten Kindern zu tun.
Das "Centre for Speech and Hearing" in Mardan...
Möglicherweise die einzige größere Schule in ganz Pakistan, die sich bemüht, ihren hörgeschädigten Schülern im Rahmen des Möglichen eine konsequente Lautspracherziehung zuteil werden zu lassen, ist das von Mr. und Mrs. Farooq Toru vor rund 20 Jahren gegründete "Centre for Speech and Hearing" in Mardan, unweit von Peshawar in der NWFP gelegen.
Mr. und Mrs. Toru sind Eltern einer hochgradig hörgeschädigten Tochter. Ihre Schule - nicht
in einer der wirklich großen Städte des Landes, sondern eher in der Provinz gelegen - kennenzulernen, war mir ein wichtiges Anliegen. Sie begann ihre Arbeit im Jahre 1979 mit einem Tag Unterricht in der Woche. Er wurde damals von einer eigens hierfür berufenen britischen Logopädin erteilt. Ihr ist es auch zu verdanken, dass die Schule schon 1984 zu einer Vollzeitschule ausgebaut werden konnte und sich seitdem um eine gute Hörspracherziehung der ihr anvertrauten Schüler bemüht. Dass das "Centre for Speech and Hearing" in Mardan als eine unabhängige private Einrichtung existieren kann, verdankt sie nicht zuletzt einer beachtlichen jährlichen finan- ziellen Unterstützung durch ein großes britisches Industrieunternehmen.
...verfügt über eine eigene Audiologische Klinik
Zur Zeit besuchen etwa 120 hörgeschädigte Kinder und Jugendliche im Alter von 21⁄2 bis 18 Jahren das "Centre for Speech and Hearing" in Mardan. Bevor ein Kind aufgenommen wird, wird es in der mit dem Zentrum verbundenen Audiologischen Klinik, in der zwei in Großbritannien ausgebildete Audiologen arbeiten, eingehend untersucht. Unmittelbar danach erfolgt die Hörgeräteversorgung. Bevorzugt kommen Taschenhörgeräte aus der Produktion der Firma SIEMENS zum Einsatz. Die erforderlichen Ohrpaßstücke werden von zwei zu Technikern ausgebildeten früheren hörgeschädigten Schülern im eigenen Haus an- gefertigt. Direktorin der Schule ist Mrs. Farooq Khan Toru. Ihr unterstehen ein Verwaltungsbeamter und ein Sekretär sowie sechs Logopädinnen und 26 Lehrkräfte. Die Dienste der mit dem Zentrum verbundenen Audiologischen Klinik stehen allen Schülern kostenlos zur Verfügung, können aber gegen Bezahlung auch von jedermann in Anspruch genommen werden. So werden im Zentrum in Mardan täglich mehrere Kinder, Jugendliche und Erwachsene zur audiologischen Untersuchung vorgestellt. Aber auch die Logopädinnen arbeiten nicht nur für die Schüler des Zentrums. Sie betreuen auch zahlreiche sprachbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus einem weiten Einzugsgebiet. Für die nächsten Jahre plant das "Centre for Speech and Hearing" in Mardan u.a.:
1. Den Ausbau des in Ansätzen bereits vorhandenen Computerzentrums.
2. Die kostenlose Bereitstellung von leistungsstarken Hörgeräten für alle bedürftigen Kinder.
3. Die Anschaffung eines weiteren Schulbusses mit dem Ziel, die derzeitigen langen Fahrzeiten zu reduzieren.
4. Den Bau eines Internatsgebäudes, um auch hörgeschädigte Kinder aus ländlichen Gebieten aufnehmen zu können.
Ihnen wird zur Zeit in den von der Regierung eingerichteten Schulen lediglich ein primitiver Unterricht in Gebärden erteilt. Sie lernen dort weder sprechen noch ihre Hörreste zu nützen. Noch gilt in Pakistan der allerdings von niemandem ausgesprochene Satz-. "Weil Du arm bist, darfst Du nicht sprechen lernen, sondern mußt Dich mit Gebärden zufriedengeben. "
Die Fahrt von Abbottabad nach Mardan und zurück gehörte übrigens zu den abenteuerlichsten Erlebnissen meines zehnten Pakistan-Aufenthaltes. Nicht nur für den Fahrer des Privatwagens, der mich in Begleitung von Mr. Manzoor Ahmed aus Zürich gefahren hat, sondern für wohl fast alle Pakistanis scheint es keinerlei verbindliche Verkehrsregeln zu geben. Obwohl die rund 150 km lange Strecke weitgehend auf einer "Autobahn" verlief, kamen uns auf dieser nicht nur ständig Radfahrer, Fußgänger, Kamel- und Schafherden, sondern auch "Geisterfahrer" entgegen. Gelegentlich führte die Autobahn aber auch mitten durch Ortschaften mit Märkten auf beiden Straßenseiten. Die Käufer überquerten dann nicht selten in blindem Gottvertrauen beide Fahrbahnen.
Die "Sir Syed Academy for Hearing Impaired Children" in Rawalpindi…
Wenige Stunden von Antritt meines Rückfluges nach Deutschland habe ich auf der Fahrt von Abbottabad nach Islamabad in Rawalpindi noch die "Sir Syed Academy for Hearing Impaired Children" besucht, die 1955 gegründet worden ist und sich als"a leading school" für hörgeschädigte Kinder in Pakistan versteht. Von den räumlichen Bedingungen her betrachtet wird diese große Sonderschule mit mehr als 500 Schülern diesem sich selbst gestellten Anspruch gewiss gerecht. Von allen bisher von mir in Pakistan besuchten Gehörlosenschulen, sei es in Karachi, in Lahore oder in der NWFP, zählt die "Sir Syed Academy" ohne Zweifel zu den räumlich am großzügigsten ausgestatteten Schulen. Sie verfügt über eine ausreichende Zahl von Unterrichtsräumen, die auch von ihrer Größe her den Bedürfnissen hörgeschädigter Kinder weitgehend gerecht werden. Wenn sie ihren Unterricht dennoch in zwei Schichten erteilt, nämlich in einer Frühschicht (08.00 bis 13.00 Uhr) für Mädchen und in einer Spätschicht (14.00 bis 19.00 Uhr) für Knaben, dann nicht, weil etwa Raum- oder Lehrermangel bestünde, sondern ausschließlich aus gesellschaftspolitischen Gründen, wie mir der Direktor der Schule nach- drücklich versichert hat. Koedukation gibt es nur im Kindergarten der Schule.
...steht unter militärischer Leitung
Eindrücklicher Beleg für die Großzügigkeit der Raumgestaltung war das Dienstzimmer des Direktors. Dieser saß in einem überproportional großem Zimmer hinter einem mächtigen Schreibtisch und trug eine Uniform. Als ich ihn - mich unwissend stellend - fragte, ob dies wohl eine Heeresuniform sei, wurde diese Frage mit dem Zusatz bejaht, dass er Oberst der pakistanischen Armee und als solcher mit der Führung der Schule beauftragt sei. Es war dies die erste Schule für hörgeschädigte Kinder, die ich während meines langen Berufslebens in mehr als 40 Ländern in vier Erdteilen bisher besucht habe, die unter militärischer Leitung steht. Kein Wunder, dass sie, was in Pakistan durchaus erfreulich, weil die Ausnahme ist, wie eine Kadettenanstalt vor Sauberkeit glänzte und dass alle Schüler dem Herrn Oberst den seinem Rang angemessenen militärischen Gruß zollten.
In einer mir übergebenen Broschüre über die Schule heißt es wörtlich: "Aim: to serve as a model Institution for education of hearing impaired children using modern techniques and oral methods of instruction. In der ganzen Schule - und ich wurde durch alle Räume geführt - habe ich nicht eine einzige Höranlage und nur in wenigen Klassen einmal ein Kind mit einem Hörgerät gesehen, obwohl in der erwähnten Broschüre mit folgenden 'Worten eigentlich genau das Gegenteil behauptet wird: "All students of the Academy are using hearing eids provided to them free of cost by the Academy.'
Von Lautsprachunterricht und Hörerziehung war nichts zu hören und zu sehen. Die Kinder wurden in einer absolut stillen Umwelt ausschließlich über Gebärden und Fingeralphabet unterrichtet. Es gab allerdings an der Akademie auch einige Logopädinnen, die - in besonderen Räumen vor einem großen Spiegel sitzend - bei einzelnen Schülern Einzellaute übten. Doch auf diese Weise können hörgeschädigte Kinder, deren Unterricht ohne Lautsprache stumm erteilt wird, wahrhaftig nicht sprechen lernen. Als ich dies dem Herrn Oberst so diplomatisch wie nur möglich zu erklären versuchte, wurde mir versichert, dass die Schule doch den bewährten strategischen Prinzipien der totalen Kommunikation folge. Auf meinen Einwand, dass zur totalen Kommunikation per definitionem immer auch eine ständig gewährleistete Hörerziehung gehöre, erwiderte der Oberst, dass ihm dies bisher noch niemand gesagt habe. Das darf man ihm gern glauben, ist doch die Erziehung und Bildung hörgeschädigter Kinder ganz gewiss nicht Gegenstand der Offiziersausbildung. Aber auch diese Angabe entsprach nicht der Wirklichkeit: "Students to teacher ratio comes to 1 to 7 - 10." Ich wurde in Klassen geführt, in denen 15 und mehr hörgeschädigte Kinder von einer Lehrkraft unterrichtet wurden..
Zusammenfassung
Dass ich nach mehr als 50 Jahren beruflichen Einsatzes in der Hörgeschädigenbildung - 1949 bin ich als junger Lehrer an eine Gehörlosenschule versetzt worden -nach einmal einen ganzen Monat lang jeden Tag von 08.30 bis 13.00 Uhr und dann wieder von 14.00 bis 18.00 Uhr in einer Schule für hörgeschädigte Kinder unter Bedingung zu arbeiten haben würde, die mich an die Jahre unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in deutschen Gehörlosenschulen erinnerten, hätte ich mir noch vor wenigen Jahren nicht träumen lassen. Dass ich dies durfte, erfüllt mich trotz der Gewissheit, dass meine Mithilfe beim Aufbau einer Schule im Norden von Pakistan angesichts der Grösse des Landes nur ein bescheidener Beitrag sein kann, mit Genugtuung. Aber auch das sei noch vermerkt: Trotz aller Schwachstellen, denen man in Schulen sowohl für hörende als auch für hörgeschädigte Kinder in Pakistan auf Schritt und Tritt begegnet, sind die Aufbauleistungen des erst vor einem halbe Jahrhundert unabhängig gewordenen Landes beachtlich. Was dieses Land in nur 50 Jahren auf die Beine gestellt hat, und mutatis mutandis gilt dies in gleicher Weise auch für Bangladesch und für Indien, verdient trotz aller noch bestehender Unzulänglichkeiten Respekt. Noch eindrucksvoller könnten die Aufbauleistungen allerdings sein, wenn Pakistan und auch Indien auf ihre Unsummen verschlingende atomare Aufrüstung verzichten könnten.
Armin L ö w e
Professor i.R. für pädagogische Audiologie und Gehörlosen. Pädagogik
an der Pädagogischen Hochschule Heidenberg,
Hohe Gasse 5, 69126 Heidelberg

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